Entgeisterte Cocktails? Wir testen alkoholfreie Spirituosen
Bewussteres Leben boomt, gerade in der Ernährung. Was auf dem Teller das vegane Schnitzel ist, ist im Longdrinkglas die alkoholfreie Spirituose. Seit einigen Jahren gibt es diese Alternativen «ohne Umdrehungen» und sie erfreuen sich immer grösserer Beliebtheit. Ich wollte dem Hype auf den Grund gehen und habe einige meiner Arbeitskolleginnen zu einer Verkostung gebeten.
Lange Zeit gab es an Partys nur Wasser oder klassische Softdrinks für alle, die fahren mussten, schwanger waren oder einfach keinen Alkohol trinken wollten. Nun soll mit dieser Langeweile im Glas Schluss sein. Das versprechen zumindest die Hersteller der alkoholfreien Spirituosen. Und treffen damit einen Nerv: Immer mehr Menschen setzen sich heute damit auseinander, wie sie gesünder leben und dabei ihren ökologischen Fussabdruck reduzieren können. Weniger Fleischkonsum, regionale Produkte und nachhaltige Labels stehen hoch im Kurs.
Alkohol passt da für viele nicht mehr ins Bild. Genauso wenig wie die sehr zuckerhaltigen Mocktails, mit denen man sich bisher abfinden musste, wenn man in einer Bar etwas ohne Alkohol bestellt hat. Für viele stellt sich deshalb die Frage: «Was trinke ich, wenn ich nicht trinke?»
2015 trat die erste Firma auf den Plan, die dieses Dilemma lösen wollte, Seedlip aus Grossbritannien. Ihre «Spirituose», eine Art alkoholfreier Gin, war innert kürzester Zeit ausverkauft. Schon bald folgten weitere Hersteller aus der ganzen Welt. Der aktuelle weltweite Marktführer ist die australische Firma Lyre's, obwohl diese erst 2019 gegründet wurde.
Dieser Erfolg verändert den Markt: Die «Neuankömmlinge» gewinnen regelmässig Auszeichnungen an renommierten Branchenveranstaltungen. Selbst traditionsreiche Produzenten echter Alkoholika, wie etwa Gordon's und Martini, bieten mittlerweile alkoholfreie Varianten ihrer Produkte an. Und Diageo, einer der grössten Alkohol-Konzerne der Welt, hat 2019 einen Mehrheitsanteil an Seedlip gekauft.
Die Herstellung alkoholfreier Spirituosen – ganz ähnlich wie «in echt»
Was ist das Geheimnis dieser neuen Getränkekategorie? Sind es mehr als «glorifizierte Softdrinks», wie einige böse Zungen sie nennen? Eindeutig. Das zeigt ein Blick auf die Herstellungsweisen.
Es gibt zwei verbreitete Produktionsmethoden, die beide eng an die Herstellung von Gin angelehnt sind. Der Kern dabei ist die so genannte Mazeration, also das Einlegen von Kräutern und anderen pflanzlichen Zutaten (sog. Botanicals) in einer Flüssigkeit, damit sie ihre Aromen abgeben. Die Flüssigkeit kann Wasser oder Reinalkohol sein – Dadurch unterscheiden sich die beiden Methoden.
Augenblick, wie war das gerade, Alkohol? Keine Sorge, der wird am Ende natürlich wieder herausgefiltert.
Im Anschluss an die Mazeration wird die Flüssigkeit destilliert, genau gleich, wie dies bei alkoholischen Spirituosen auch gemacht wird. So werden die Aromen verfeinert und unerwünschte Stoffe ausgesondert. Oftmals bleibt es nicht bei einem Destillationsdurchgang: Seedlip etwa steckt bis zu 36 einzelne Destillationen in seine Flaschen!
Obwohl die meisten Zutaten pflanzlich und oft sogar von Bio-Qualität sind, wird ein bisschen Chemie benötigt. Denn ohne die konservierende Wirkung des Alkohols würden die Getränke sonst schnell verderben. Also müssen die Hersteller etwas Konservierungsmittel und Stabilisatoren hinzugeben. Dafür könnt ihr die Flaschen auch nach dem Öffnen bedenkenlos mehrere Monate aufbewahren.
Weitere Zusatzstoffe gibt es kaum, auch Zucker wird nur sehr begrenzt genutzt. Für den letzten «Touch» setzen einige Produzenten, z.B. Rebels 0.0, noch eine Prise Chili-Extrakt ein. So bekommt man das leichte Brennen im Hals nach dem Herunterschlucken, das man von echten Spirituosen kennt.
Der Test
Was an diesen alkoholfreien Spirituosen dran ist, das wollten wir an einem schönen Donnerstagnachmittag herausfinden. Wir, das sind meine beiden Redaktionskolleginnen Simone und Kathrin, Daniela, Content Marketing Managerin im Food-Bereich, und ich – bekennender Fan klassischer Spirituosen wie Whisky, Rum und Cognac. Alle von uns hatten schon von diesen Alternativen gehört, probiert hatten wir sie jedoch noch nie. Entsprechend gross war unsere Neugierde.
Als Probanden haben wir uns Produkte von drei verschiedenen Herstellern ausgesucht: Je zwei Gin- und Rum-Alternativen sowie ein alkoholfreier Bourbon. So konnten wir nicht nur einen Vergleich zu den «Vorbildern» ziehen, sondern auch die einzelnen Marken gegeneinander antreten lassen.
Getestet haben wir:
- Lyre's London Dry Spirit
- Gordon's 0.0
- Lyre's Dark Cane Spirit
- Rebels 0.0 Rum Alternative
- Lyre's American Malt
Wir haben die Probanden nach vier Gesichtspunkten beurteilt:
- Wie ist die Nase, also der Geruch?
- Wie schmeckt er pur?
- Wie nahe kommt er im puren Geschmack ans Original heran?
- Wie schmeckt er im Cocktail?
Wir sind uns bewusst, dass diese Getränke primär für Cocktails gedacht sind, sprich zum Mixen mit anderen Zutaten. Daher mögen die Beurteilung des puren Geschmacks sowie der Vergleich mit dem Original etwas unfair erscheinen. Doch dazu sei Folgendes gesagt. Auf der einen Seite behauptet zumindest Lyre's auf seiner Website: «Die Spirituosen von Lyre's sehen aus, schmecken, riechen und schmeicheln dem Gaumen wie das Original» Auf der anderen Seite finden wir, dass für einen guten Cocktail auch die einzelnen Zutaten schmecken sollten.
Randbemerkung: Da wir diese Verkostung während der Arbeitszeit durchgeführt haben, haben wir uns für den Vergleich mit dem jeweiligen Original natürlich unserer Erinnerung bedient und keine echten Spirituosen mit-verkostet 😊.
Um die Probanden auch in ihrem «natürlichen» Umfeld zu testen, haben wir uns mit weiteren Zutaten bewaffnet, damit wir einige einfache Cocktails mixen können. Für die Gin-Alternativen waren dies Tonic Water und frische Zitrone, beim Rum Ginger Beer und alkoholfreier Orangenbitter für einen Dark and Stormy sowie Pfefferminze, Limette und Soda für einen Mojito. Und den American Malt von Lyre's haben wir in der Form eines Whiskey Sour mit Zitronensaft und Zuckersirup aufbereitet.
Der Test in vollem Gange, alle Fotos in der Galerie: Competec
Und, wie schmeckt's?
Nun, wie soll ich sagen … Die Erwartungen waren hoch – Das Ganze war aber dann doch ein bisschen … ernüchternd.
Na?
Okay, lassen wir das mit den Wortspielen und holen etwas aus. Es haben sich klar zwei Favoriten herauskristallisiert, während die anderen drei ein bisschen abgeschlagen sind. Der American Malt von Lyre's und vor allem der 0.0 von Gordon's konnten uns recht gut überzeugen (Details zu den einzelnen Probanden siehe nächster Abschnitt). Ein Problem, das jedoch alle fünf teilen, ist eine gewisse Wässrigkeit. Man hat das Gefühl, sie wurden deutlich zu stark verdünnt. Beim Gordon's war dies am wenigsten ausgeprägt, beim Rebels 0.0 am meisten.
Das macht sich besonders bemerkbar, wenn man die Sachen pur trinkt. Doch es ist auch im Cocktail nicht hilfreich. Denn man braucht deutlich mehr «Spirituose», damit man sie im Gemisch noch wahrnimmt, als man es sich von echten Alkoholika gewohnt ist.
Lyre's Dry London Spirit
Unser erster Kandidat ist der Gin-Ersatz aus Australien. Er konnte pur leider nicht wirklich überzeugen, obwohl der Hersteller das Gegenteil behauptet. Man nimmt zwar eine leichte Süsse sowie Noten von Zitronen und Beeren wahr. Doch durch die eben erwähnte Wässrigkeit kommt keine Sekunde der Verdacht auf, es könne sich um echten Gin handeln. So fehlt eben auch dem Gin Tonic der nötige Pepp, den wir mit Zuckersirup etwas kompensiert haben.
Gordon's 0.0
Der klare Favorit und Testsieger kommt aus Grossbritannien. Er kann sich pur wie auch im Cocktail sehen lassen und ist durchaus vergleichbar mit echtem Gin. Den würden wir ohne Vorbehalte unseren «trockenen» Freund*innen vorsetzen.
Dieser grosse Unterschied zum Dry London von Lyre's dürfte unter anderem damit zu tun haben, dass Gordon's seit 250 Jahren Gin produziert und entsprechend viel Erfahrung hat, die sich jetzt auch im alkoholfreien Produkt niederschlägt. Demgegenüber wurde Lyre's erst 2019 gegründet – Es würde an ein Wunder grenzen, wenn sie Gordon's schon übertrumpfen könnten.
Lyre's Dark Cane Spirit
Die Rum-Alternative von Lyre's schneidet etwas besser ab als der Gin. In der Nase merkt man eine klare Süsse, obwohl der Zuckergehalt mit 3.3 Gramm pro hundert Milliliter moderat ausfällt. Geschmacklich dominiert Vanille, die durchaus auch bei echtem Rum vorkommt, nur vielleicht nicht ganz so prominent. Für einen «realistischen» Abgang haben die Australier etwas Scharfes hinzugefügt, was den gewohnten Nachbrand echter Spirituosen imitiert.
Pur ist er also okay, doch auch den wird niemand mit echtem Rum verwechseln. In der Form des Dark and Stormy mit Ginger Beer und Orangenbitter schmeckt er ganz ordentlich, auch wenn man sehr viel vom Dark Cane benötigt, damit er sich wirklich bemerkbar macht.
Rebels 0.0 Rum Alternative
So gerne wir dem einzigen Schweizer Produkt in unserem Line-Up gute Noten ausgesprochen hätten: Der Rebels 0.0 ist leider der klare Verlierer, da er weder in der Nase noch am Gaumen überzeugen kann. Der Geschmack hat nichts mit Rum zu tun und dazu ist der Rebels 0.0 auch noch der wässrigste Proband im Test. So kann er auch als Cocktail keine Punkte wettmachen – «gruselig» war Simones Fazit. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Lyre's American Malt
Unter den drei Flaschen von Lyre's sticht der Bourbon-Ersatz klar hervor. Overall schafft er es auf einen guten zweiten Platz. Beim Riechen kommen holzige, würzige und ganz leicht rauchige Noten an die Oberfläche, die an echten Bourbon erinnern. Deutliche Karamellaromen präsentieren sich dann im Geschmack – So ist er pur wie gemixt trinkbar. Der Knackpunkt ist auch hier die Wässrigkeit.
Fazit
Der Test hinterlässt bei uns gemischte Gefühle. Auch wenn zwei der Probanden mehr oder weniger an ihre «Vorbilder» herankommen – echte Verwechslungsgefahr besteht nie. Dafür sind alle fünf deutlich zu schwach im Geschmack. Im Cocktail können der Gordon's sowie der American Malt zwar einigermassen überzeugen, wirklicher Genuss kommt aber kaum auf.
Beim Design gibt’s dafür einige Sympathiepunkte. Die Flaschen kommen alle hübsch daher und müssen sich in der Heim-Bar keineswegs vor ihren alkoholhaltigen Schwestern verstecken. Für Uneingeweihte sind sie nicht auf den ersten Blick als alkoholfrei zu erkennen.
Preislich liegen sie im Bereich von 17.95 für den Gordon's bis 34.90 für den Rebels 0.0, wobei letzterer nur in einer Halbliterflasche kommt. Hochgerechnet auf die 0.7 Liter der anderen Probanden landen wir bei 48.90 Franken. Das ist nicht gerade wenig, wenn man bedenkt, dass der Herstellungsprozess trotz Mazeration und Destillation deutlich simpler ist als bei echten Spirituosen und zudem die Alkoholsteuern entfallen. Da befinden wir uns in einem Preisbereich, in dem man bereits ausgezeichnete Single Malts bekommt, die zehn und mehr Jahre gereift sind – mit dem entsprechenden Aufwand dahinter. Die entsprechen zwar nicht der Zielgruppe der alkoholfreien Spirituosen, ich wollte es als Referenzwert dennoch gesagt haben.
Mit 23.95 liegen die Lyre's im preislichen Mittelfeld, was wir fair finden. Bei diesem Preis ist man bei den echten Spirituosen im Bereich der «Einsteigerprodukte», die grösstenteils ebenfalls zum Mixen verwendet werden, etwa ein Johnnie Walker Red Label oder ein J&B Blended Scotch. Somit passt das. Interessanterweise kostet der Gordon's 0.0 leicht mehr als der richtige Gin desselben Herstellers. Vermutlich spielen da die Entwicklungskosten sowie die niedrigeren Stückzahlen hinein.
Es bleibt die Frage, an wen sich diese Produkte richten sollen? Wer echte Spirituosen kennt und schätzt, der wird unserer Meinung nach lieber auf Softdrinks zurückgreifen, wenn er mal nichts Alkoholisches trinken möchte. Somit kommen primär die Cocktailliebhaber*innen in Frage, die bewusst auf Alkohol verzichten möchten (oder müssen) oder den Geschmack von Spirituosen gar nicht mögen. Für sie eröffnen sich viele neue Möglichkeiten, wenn sie sich an den, sagen wir mal, speziellen Eigengeschmack gewöhnt haben.
Theoretisch wären diese alkoholfreien Alternativen auch für Minderjährige geeignet, doch keiner der getesteten Hersteller vermarktet seine Produkte entsprechend. Sie richten sich explizit an Erwachsene, vermutlich aus Jugendschutzgründen aufgrund der thematischen Nähe zu echtem Alkohol.
Offenbar ist es gar nicht so einfach, den Geschmack von Spirituosen zu imitieren, wie man vielleicht denken könnte. Die Hersteller in diesem Bereich sind grösstenteils noch sehr jung und produzieren erst seit wenigen Jahren. Wer weiss, vielleicht entwickeln sie mit zunehmender Erfahrung Getränke, die wirklich kaum noch vom Original zu unterscheiden sind. Möglicherweise müssen wir ihnen einfach noch ein bisschen mehr Zeit geben, bevor wir uns ein abschliessendes Urteil machen können. Bis dahin bleibe ich persönlich bei den echten Spirituosen.
Unsere fünf Probanden im Shop
- Inhalt pro Einheit: 0.7 l
- Fairtrade: Nein
- Bio: Nein
- Zertifikate: Keine Zertifizierung
- Produkttyp: Gin
- Anzahl Stück: 1 Stück
Artikel-Nr. 1116630- Inhalt pro Einheit: 0.7 l
- Fairtrade: Nein
- Bio: Nein
- Zertifikate: Keine Zertifizierung
- Produkttyp: Gin
- Anzahl Stück: 1 Stück
Artikel-Nr. 1369831- Inhalt pro Einheit: 0.7 l
- Fairtrade: Nein
- Bio: Nein
- Zertifikate: Keine Zertifizierung
- Produkttyp: Rum
- Anzahl Stück: 1 Stück
Artikel-Nr. 1116633- Inhalt pro Einheit: 0.5 l
- Fairtrade: Nein
- Bio: Nein
- Zertifikate: Keine Zertifizierung
- Produkttyp: Rum
- Anzahl Stück: 1 Stück
Artikel-Nr. 1351501- Inhalt pro Einheit: 0.7 l
- Fairtrade: Nein
- Bio: Nein
- Zertifikate: Keine Zertifizierung
- Produkttyp: Whisky
- Anzahl Stück: 1 Stück
Artikel-Nr. 1116629
Redaktor
Let the Beat Hit 'em! Als passionierter Hochzeits-DJ interessiere ich mich für alles, was Musik wiedergibt. Auch privat höre ich praktisch ununterbrochen Musik, sodass in der Wohnung der eine oder andere Lautsprecher herumsteht – von ganz klein bis ganz gross. Daneben schätze ich Filme und Games im Heimkino, geniesse einen guten Whisky (natürlich mit der passenden Musik im Hintergrund) und kurve mit meinem 20-jährigen Cabrio durch den Schwarzwald.
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